Was kann ein Mensch tun, wenn er als Versehrter
leben muß? Er paßt sich an. Natürlich nur dort,
wo er das wirklich tun muß. Helfe dir, und Gott hilft dir
auch! Ein guter Spruch. Also ging ich Anfang 1994 ins Finanzamt
in Szombathely, um meine spärliche Pension, die mit dem tödlichen
Tempo der Inflation und der nicht weniger negativer Wirkung der
regelmäßigen Einschränkungen nicht Schritt halten
kann, mit einer Nebentätigkeit zu verbessern. Also bat ich
um ein Rechnungsheft, damit ich auf dem großen Gepäckträger
meines Dreirades Werbung tragen kann. Ich habe es auch bekommen.
Reich werde ich damit nicht, weil ich im Alltagsverkehr nur selten
und auch nur wenig Geld dafür bekomme. Ich könnte natürlich
argumentieren, wieviel Werbung in der lokalen Presse ist, und
wieviel sie gelesen wird, aber es hat keinen Sinn. Ich habe sogar
die ablehnende Äußerung gehört, daß nie
davon gehört zu haben, daß "irgend jemand"
Werbung tragen kann. Also: Alles zurück, kein Systemwechsel:
- bis 1989 gab es das nicht, alles, was damit zu tun hat, mit
den neuen Unternehmen - abgelehnt! Lächerlicher Grund, oder?
Aber was soll ich tun, Werbung auf der Straße ist ein Privileg
der Großen, die auch von einem Prozent der Extra-Einnahmen
leben könnten... Und das Geld geht auf wild-kapitalistische
Weise noch eher dorthin, wo die alte Regel "das Geld gebärt
Geld" gültiger ist. (Von den Wirren der Politik gar
nicht zu reden!) So kam ich zur logischen Schußfolgerung,
daß ich etwas mehr Geld bekomme, wenn ich bei einer öffentlichen
Veranstaltung mit vielen BesucherInnen meine Werbung mit einer
physischen Leistung verbinde. Und es ist auch ein Erlebnis, beim
jährlichen Marathon-Tag um Szombathely zu radeln. Ob das
nichts für Behinderte ist? Bitte, ich wäre gern in der
Presse geblieben, wo ich zehn Jahre lang regelmäßiges
Publizieren hinter mir habe, aber der deutsche Eigentümer
des privatisierten Lokalblattes legt trotz der bei den Deutschen
verbreiteten humanen Überzeugungen und der ungarischen
Steuererleichterungenkeinen Wert auf meine Mitarbeit. Wenn der deutsche Chef
überhauptweiß, was um "Vas Népe" herum passiert,
weil das viele Drumherum-Reden, das ich gehört habe, auf
anderes schließen läßt. Jedenfalls arbeitet das
arbeitsplatzschaffende ausländische Kapital an vielen Orten
in die andere Richtung. Und das Volk, das Dózsa György
hervorgebracht hat, erträgt das noch still, und baut aufs
Überleben. Weil "es schon besser wird, wenn die Wirtschaft
stärker ist". Genosse Marjai hat doch schon Mitte der
80'er Jahre vom Ende der sieben mageren Jahre gesprochen! Seitdem
hat sich nur die Rollenverteilung und der Inhalt der Reden geändert,
die Lage nicht wirklich.
Doch egal, ich fuhr auch dieses Jahr mit meinem
Dreirad los, fragte die Firmen im Ort und radelte ausdauernd am
Jubiläums-Marathon "Elvira". Was wird sein, wenn
ich nicht mehr durch Berg und Tal radeln kann? Vielleicht kommt
bis dahin der echte Systemwechsel - oder der wirtschaftliche Aufschwung!
Wenn ich das noch erlebe...
(Aus dem Tagebuch eines Leserbrief-Redakteurs)